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Ragnarök - Der Nachklatsch

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Kommentare: 5
  • #5

    Nicci (Montag, 16 September 2024 18:11)

    Gerne schildere ich nachfolgend noch einen meiner Gedanken zu Ragnarök und bin gespannt, was euch dazu in den Sinn kommt:
    In meinem Verständnis sehe ich die Christianisierung der heidnischen Völker als Ragnarök – eine ganze Art zu leben, zu glauben, die Welt und das Leben zu verstehen wurde bekämpft, systematisch zerstört und ging unter. Ehemalige Gleich-Glaubende bekriegten sich erbittert, bis (vermeintlich) die heidnischen Götter untergingen. Doch wie in den Liedern beschrieben, überlebten einzelne Götter bzw. deren Kinder. Die „Überlebenden“ verstehe ich als Sinnbild für die Unauslöschlichkeit des „alten“ Glaubens. Denn in meinem Verständnis hat diese Art zu Glauben, eine tiefe Ursprünglichkeit für uns Menschen und unser Dasein auf diesem Planeten. Ein Glaube, der die Natur (ver-)ehrt, der den Glaubenden in untrennbarer Verbindung zu dieser verortet. Ein Glaube, der der „Magie“ einen Raum gibt – der Magie des Entstehens und der Verbindung welche die Wissenschaft bis heute nicht im Stande zu erklären ist.
    Manchmal kommt mir der Gedanke, als hätten die Götter sich bei der Christianisierung verhalten wie Eltern, die ihren Kindern erlaubten eigene Erfahrungen zu machen, damit diese eigene Lektionen lernen und wachsen, weil es manchmal eben wichtig ist Erfahrungen am eigenen Leib zu spüren. Nun flapsig gesagt - fährt sich das Projekt „Christentum“ selbst gegen die Wand. Es verliert Bedeutung, Zustimmung und Substanz. Es scheint, als würden sich langsam die Menschen erinnern oder verändern… Und mit der schwindenden kirchlichen Obrigkeit sich wieder ein wenig mehr Eigenverantwortung zurückholen.
    Was ist, wenn „der Glaube“ und „die Götter“ etwas ist, was tief in unserem Menschsein verwurzelt ist? Etwas das sich aktuell reaktiviert – weil es „not-wendig“ ist um die Not abzuwenden, die unsere Welt befallen hat und droht diese zu zerstören? Was ist, wenn all die „emotionalen Störbilder“ und Neurodivergenzen (ich meine damit Depression, ADHS, Autismus, Hochsensibilität und ähnliches) Vorzeichen eines neuen Ragnarök sind? Ein Aufbruch in einer anderen Form, der die moderne Welt wie wir sie aktuell verstehen, „zerstört“ und einen erneuten tiefgreifenden Wandel einläutet?
    Das Wertesystem in unserer westlichen Welt wandelt sich grundlegend. Viele Menschen suchen mehr Verbindung, mehr Sinn, mehr Freiheit als die vorherigen Generationen. Sexualität, Familie, Arbeit – all dies was sich im Rahmen des christlichen Weltverständnisses verändert hatte scheint von einem erneuten Wandel durchzogen. Nicht durch Bekehren und Umerziehen oder Unterdrücken. Sondern durch Er-innern und Spüren, durch eine Suche, ein Bedürfnis, welches aus dem Inneren nach Außen dringt.

    Ich freue mich über Austausch und Kritik
    Liebe Grüße (auch vom Töchterchen- die sich sehr für die heidnischen Geschichten begeistert)
    Nicole

  • #4

    Nicole Höffgen (Montag, 16 September 2024 18:09)

    Liebe Nicole,

    ich Danke Dir für Deine Worte, die ich unfassbar nachvollziehbar finde!

    Ich denke es ähnlich, zumal ich auch damit fremdle, mythische Geschichte mit historischer Geschichte zu parallelisieren. Ja, das Mythische kann in der Historie erkannt werden, aber die Historie ist damit noch lange nicht der Mythos selbst. Du hast das ganz wunderbar beschrieben mit dem Begriff "symbolisch".

    Wenn wir diese Lesart weitergehen, dann bedeutet dies vielleicht auch: Ragnarök kann nie passieren, sondern liegt immer in der Zukunft - und zwar genau deswegen, weil es nicht der "Realhistorie" entspricht, sondern eine Mythe oder ein Symbol ist, welches uns harte Umbrüche, ganz gleich welcher Art, im Großen wie im Kleinen, auf einer metaphysischen Ebene greifen und damit besser verstehen lässt.

    Und genau das ist das gefährliche am Messianismus bzw. an Endzeitsekten im Allgemeinen: Hier wird die mythische/symbolische/metaphysische Ebene einfach zur realhistorischen Ebene gemacht. Endzeit ist dann kein Symbol mehr, sondern ein Istzustand.

    Man stelle sich mal vor, es gäbe eine neopagane Endzeitsekte, die im Hier und Jetzt Ragnarök erkennt. Das Gefahrenpotential ist ja, dass es immer - zu jeder Zeit überall - "Beispiele" gibt, die sich anbieten, um eine Endzeitstimmung zu kreieren. Diese pickt man dann heraus, lässt Kontext weg, lässt positive Entwicklungen etc. weg und zack: Man glaub, man steht im tiefsten Höllenzeitalter. Eine Strategie, die Endzeitsekten wie Verschwörungstheorien teilen.

    Ragnarök schließt vielleicht eher die große Erzählung der germanischen Mythologie ab. Doch mythische Denker denken Mythologie nicht in Chronologie, sondern situativ. Es sind ja die "Urgeschichten", die die Welt erklären - und die sind ja letztlich "unsterblich".


    Alles Liebe
    Nicole

  • #3

    Nicci (Montag, 16 September 2024 18:06)

    Vielen Dank noch mal, für diese wunderbar geführte Reise durch Ragnarök und zurück!

    In mir klingt die Frage nach „Beten moderne Heiden tote Götter an“?

    In meinem Verstehen: Nein. Nein, weil ich die Götter als Charakterenergien verstehe. Jeder Benannte steht symbolisch für Energiequalitäten wie Stärke, Weisheit, List, Liebe. Die mythischen Erzählungen und Sagen versehen diese Götter dann noch mit menschlichen Zügen und menschlichen „Fehlern“. Dadurch können wir Menschen uns mit den Göttern identifizieren, können uns mit Makel und Fehler besser annehmen und vielleicht sogar in uns selbst das Göttliche finden. In diesem Verständnis bleiben für mich die Götter anbetbar, ob Ragnarök nun hinter oder vor uns liegt ☺️

  • #2

    Nicole Höffgen (Montag, 16 September 2024 18:05)

    Liebe Carola,

    vielen Dank für Deinen Beitrag, der noch einmal einen doch sehr spannenden Punkt betont: Mythische Kosmologie und naturwissenschaftliche Kosmologie sind sich gar nicht so unähnlich. Die "Urknall-Theorie" können wie ja durchaus in den zahlreichen mythischen Weltentstehungen wiedererkennen: wie aus einem unbestimmten, unbekannten Etwas mehr oder weniger plötzlich etwas Großes zu entstehen beginnt. Und die Naturwissenschaften haben, was die Frage der Zukunft des Alls oder zumindest unseres bescheidenen Sonnensystems betrifft, vergleichbare Prognosen wie die uns bekannten Eschatologien: irgendwann ist Ende - zumindest in der uns bekannten Form - und etwas Neues entsteht. Danke für Deine faszinierenden Beispiele, die ganz hervorragend diesen starken Bruch zwischen Alt und Neu verdeutlichen: aus kalten Molekülwolken werden heiße Sterne. Kaum vorstellbar!

    Gut, dass Du auch den Punkt der "Naturkatastrophen" und der mythologischen Verarbeitung ansprichst! In der Tat gibt es nämlich Überlegungen, ob die Ragnarök-Geschichte, die wir ja in der Breite aus isländischen Handschriften überliefert haben, auf Vulkanausbrüche Islands anspielt, die sich auch auf dem kontinentalen Gebiet bemerkbar gemacht haben.

    Auch hier würde ich aber ähnlich schließen wie bei dem von uns besprochenen Punkt der Christianisierung: nicht dadurch entstanden, sondern dadurch aktualisiert und präsent geworden. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass z. B. bei solchen Naturgroßereignissen wie kräftigere Vulkanausbrüche eine Ragnarök-Erinnerung im mythischen Gedächtnis wachgerüttelt wird.

    Kurzum: wilde Gedanken, aber voller Logik - so wie es die echten wilden Denker eben machen! ;)

    Herzliche Grüße
    Nicole

  • #1

    Carola (Montag, 16 September 2024 18:02)

    Ich finde es faszinierend, dass der Gedanke, aus einem ersten Wesen wie Ymir entsteht die heute bekannte Welt, sich ja durchaus auch - natürlich im übertragenen Sinne - in der Naturwissenschaft wiederfindet, zum Beispiel in der Astronomie bei der Entstehung von Sternen und Galaxien. Hier entsteht aus Altem Neues, aus kalten Molekülwolken letztendlich heiße Sterne.
    Haben wir vielleicht ein intuitives Wissen darüber? Ich denke, nicht ohne Grund sind Geschichten wie Der Herr der Ringe oder auch Harry Potter so beliebt. Ein großer Kampf/ein Feuer/ein Kollaps führt zum Ende einer Welt/Epoche und zum Beginn von etwas Neuem.
    Und noch ein Gedanke, der mir gestern kam, als Nicole von dem langen Winter erzählt hat. Wird hier vielleicht eine Naturkatastrophe wie ein Vulkanausbruch verarbeitet? Durch die Asche in der Atmosphäre wird es ja auch quasi "Winter". Das soll es in der Erdgeschichte häufiger gegeben haben. Sind natürlich nur meine eigenen wilden Spekulationen. Liebe Grüße, Carola